Mitten in der
Nacht aufgebrochen. „Mach doch mal einer die Heizung an.“ nuschele ich genervt
in meinen hochgeschlagenen Jackenkragen. Niemals hätte ich gedacht, dass es
nachts hier so kalt wird. „Hier“ (wo es so kalt ist), ist aktuell eine
unsichtbare Stotterpiste zwischen Calama und El Tatio, im Norden Chiles.
Ich kann draußen
gar nichts erkennen. Der Jeepfahrer, die arme Socke, sieht allerhöchstens die
eineinhalb Meter Piste, die seine funzeligen Scheinwerfer beleuchten. Ich
könnte nicht mal sagen, ob er nicht eventuell querfeldein fährt. Es ist nämlich
nicht nur barbarisch kalt, es ist auch sowas von dunkel, dass mir nicht mal
Worte einfallen, um diese Dunkelheit zu beschreiben. Schwarz. Es ist einfach
nur schwarz. Im Kontrast dazu wirken die beleuchteten Instrumente des Fahrzeugs
wie ein gleißendes Laserlicht in einer Diskothek.
Wir sind ungefähr
seit einer Stunde im stockfinsteren, bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt
auf einer unkomfortablen Piste (oder sogar querfeldein?!) unterwegs, als der
Fahrer anhält. „Was soll’n das jetzt werden?“ Mit jedem Schlag, den die
Auto-Achse an meine Wirbelsäule ausgeteilt hat, hat meine Laune einen
klitzekleinen Knacks erlitten. Aktuell steht das Launomether auf „Leicht
reizbar bis zickig“.
Der Guide, ein
nach Chile ausgewanderter Deutscher, ist ausgestiegen und raucht. Ich rauche
auch gleich, aber vor Zorn aus den Ohren, denke ich und tue es den anderen
Reisen gleich. Wir steigen alle aus. Der Fahrer stellt den Motor ab und stellt
die Scheinwerfer aus. Wie wenn beim Kinderspiel „Die Reise nach Jerusalem“ die
Musik abgeschaltet wird, bleiben alle wie angewurzelt stehen. Unsere Augen
müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Jeder Schritt wäre sonst ein Tritt
ins Nichts aus Geröll.
Wie hypnotisiert
folge ich mit meinen Augen der Zigarettenglut. Die einzige Lichtquelle, der
einzige Orientierungspunkt um mich herum. Die Stimmen der Mitreisenden kann ich
nur schlecht räumlich einordnen. Außerdem verstummt das anfängliche
Stimmengewirr ganz langsam. Stille. „Priiiiiiiiiiiiima! Jetzt isses net nur
dunkel, sondern auch noch still um mich herum?! Wassn das für nen krankes
Spiel?“ motzt die Stimme in meinem Kopf.
Gerade als ich
„Hänschen piep einmal.“ in die Stille um mich herum rufen will, sehe ich es.
Meine Kinnlade fällt herunter. Mir wird heiß und kalt. Ohne, dass ich
irgendetwas dagegen tun kann, füllen sich meine Augen mit Tränen. Ohhhhhh mein
Gott! Noch niemals… noch niemals in meinem ganzen Leben habe ich etwas derart Schönes
gesehen. Nicht auf Bildern, nicht im TV. Nicht mal erträumt habe ich mir diesen
Anblick. Aber ich werde ihn auf ewig in meinem Gedächtnis behalten. Und wenn
ich mal wieder frieren sollte, dann krame ich ihn hervor aus meiner
Schatzkiste, und ich bin sicher, mein Herz wird wieder ganz warm werden.
Ich stehe inmitten
von Sternen. Über mir, hinter mir, neben mir. Ich schwebe förmlich im
Universum. Die Milchstraße (wie der Reiseleiter soeben erklärt) erleuchtet das
Areal um uns herum mit einem sphärisch Licht. Von wegen dunkel. Dunkel war es
anscheinend nur in meinem Kopf. Um mich herum erstrahlt die materialisierte
Schöpfung.
Der Reiseleiter
hebt den Arm, als wolle er nach der Milchstraße greifen. Nach meiner
Einschätzung immerhin im Rahmen des Möglichen, weil sie so so so so so nah ist.
Er zeigt aber stattdessen auf mit der Glutspitze seiner Zigarette auf einen der
Milliarden funkelnden Punkte. „Seht mal genau hin. Seht ihr die Ringe? Das ist
der Saturn.“ erklärt er mit Stolz in der Stimme. Ich fasse es nicht.
Tatsächlich. Ich sehe mit bloßem Auge die Ringe des Saturn.
Die kleine,
glückliche Menschengruppe steht noch eine ganze Weile zusammen und genießt
einfach nur den Moment in der Unendlichkeit.
Niemand spricht,
als wir wieder einsteigen. Gut so. So etwas Wunderbares darf man nicht
zerreden.
Seelig grinsend
sitze ich im Jeep und kann mich am wahrlich himmlischen Anblick gar nicht satt
sehen.
Langsam setzt die
Dämmerung ein, und wir erreichen gerade noch rechtzeitig vor Sonnenaufgang das
El Tatio Plateau. Heiße, dampfende Geysire und Fumarole verteilen sich in einem
riesigen Vulkan-Krater. Als die ersten Sonnenstrahlen hollywoodlike über den
Kraterrand stechen ergibt sich ein fantastisches Bild aus unterschiedlich
starken Dampfsäulen, und geifernden Fumarolen.
„Frühstück!“ Der
Reiseleiter macht sich an einem der heißen dampfenden Löcher zu schaffen, und
befördert ein Netz mit gekochten Hühnereiern hervor. Außerdem fördert unser
Fahrer noch ein paar Thermoskannen Kaffee und Brot aus dem Kofferraum.
Noch niemals hat
mir ein Kaffee so gut geschmeckt. Noch niemals hat mir ein Hühnerei auf einem
Stück Brot so gut geschmeckt. Niemals mehr werde ich diesen großartigen Tag
vergessen.
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